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Hitzewelle inklusive (Hintergrund zur Wettersituation) 12 Jul 2007 17:23 #142392

  • Philipp aus Alraft
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Hallo.

Hier mal ein äußerst lesenswerter Beitrag aus der WZ.



Original: Leachim (Reine b. Hameln, 220 m) / Internetlink

Liebes Forum,

Siebenschläfer ? Sechs Wochen Regen ?

eigentlich lief ja alles nach Plan - wie man es eben so kennt. Hinter der guten alten Siebenschläferregel verbirgt sich letzlich ja nur, daß sich die Kaltluft der polaren Breiten ende Juli soweit verringert hat, daß es nicht mehr zu so kraftvollen Austrogungen kommen kann, die das Wellenmuster, sprich die Großwetterlage grundlegend verändern. Soll heißen, was mit den letzten Vorstössen vor ende Juni einmal eingestellt wurde, hält sich meist den ganzen Sommer über, bis im Laufe des August wieder neue Kälte im Norden entstanden ist, und sich die Wetterlage erstmals wieder grundlegend ändern kann.
Natürlich schaut man da nicht auf ein genaues Datum - sondern man schaut wie die Wetterlage etwa bis zum 20.Juni war, und was sich dann danach, bis zum ende des Monats wandelt. Die kritische Phase ist meist 20-25.Juni. Dieses Jahr war alles klar - ab dem 25.Juni nochmal ein kräftiger Kältevorstoß, und Aufbau einer Westlage. Der Sommer war gelaufen. Das hatte ich damals schon überall rumerzählt ... während wir im April noch, bei der anhaltenden Sommerlaune, noch darauf spekulierten, einen Mittelmeersommer zu bekommen.

Über Westlagen und wie sie ihr Spielchen treiben


Nun herrschen seit drei Wochen Bedingungen wie im September oder Oktober. Ursächlich dafür ist eine gut entwickelte Westlage, tropische Luftmassen im Süden grenzen entlang einer scharfen Frontalzone an Kaltluftmassen im Norden. Es gibt eine starke westliche Höhenströmung, in der immer wieder Tiefdruckgebiete entstehen, die Europa von Westen her überschwemmen. Ein Regentag folgt auf einen Schauertag, dann gibts mit Glück mal ein Zwischenhoch, wie letzten Sonntag, und dann wieder Regen. Da wir soweit nördlich liegen, erreicht uns meistens die maritime Kaltluft, die jetzt eben typischerweise 5 Grad in 850 hPa, -22 Grad in 500 hPa hat, entsprechend ca. 11 Grad in der Nacht, bei Sonne mal 20 Grad am Tag, bei Regen aber auch mal nur 13.

Daß es nun am Wochenende zu einer Hitzewelle kommen soll, bedeutet keinesfalls eine Änderung der Lage - im Gegenteil. Da sind Hitzewellen inklusive ! Denn eine Westlage bedeutet starker Kontrast zwischen Kalt im Norden, warm im Süden, davon lebt sie ja. Und nun sind wir ja nicht immer auf der kalten Seite, mit etwas Glück rutschen wir auch auf die Warme.
Anders als bei "richtigem" Sommerwetter baut sich die Lage nicht langsam unter Hochdruck auf, die Temperaturen steigen allmählich an - nein, mit einem klar sichtbaren Warmfrontdurchgang wird es auf einen Schlag wärmer, und zwar gleich so RICHTIG WARM.

Tropische Hitzewellen inmitten einer herbstlichen Regenstimmung ?


Es fließt eine Luftmasse mit tropischen Eigenschaften ein. Die Luftmasse oberhalb 3 km Höhe hat in der Regel wirklich tropischen Ursprung, die darüber kommt aus den subtropischen Trockengebieten. Die Sonnenkraft Mitteleuropas vermag die kühle Schicht darunter weit zu erwärmen, aber meist nicht ohne weiteres zu labilisieren.
Die Temperaturen erreichen ca. 18 Grad in 850 hPa, -9 Grad in 500 hPa (nur 4 Grad kälter als über dem tropischen Regenwald, in 850 etwa genau wie im tropischen Regenwald), Tiefstwert am Boden ca. 20 Grad, Höchstwert je nach Bedingungen 30 bis 37 Grad.

Charakteristisch für solche Lagen sind, außer der plötzlich ungewöhnlichen Wärme, oft schon früh am morgen (25 Grad werden vor 9 Uhr überschritten) ...

von den Eigenschaften tropischer Warmsektoren...[/b]

- die relativen hohen Taupunkte, sie erreichen manchmal mehr als 20 Grad im Laufe des Tage
- der sogenannte tropische Himmel, ein bunter Wolkenmix aus Ac cas, Ci-Wattebauschen, Cc-Feldern, Ci virga ... alles tatsächlich Relikte einstiger Gewitterzellen über den Tropen, die in diesen Höhen zu einer Feuchteanreicherung führen. Unter bestimmten Sonderbedingungen entsteht sogar ein den ganzen Himmel überdeckender, milchiger Cs-Schleier, deutet meist auf sich abkühlende Höhenluft hin, was diesmal nicht der Fall ist. So sind Bodenluft (durch Feuchteanreicherung) und Höhenluft relativ feucht, die Schicht dazwischen oft sehr trocken, weil hier die Luft subtropischen Ursprung hat)
- fälschlicherweise oft nur als Konvergenzzonen bezeichnete bodennahe vorauseilende Kaltfronten, meist verursacht durch den großen Kontrast zwischen Warmsektorluft und dahinter nachfolgender Meereskaltluft. In der Regel kommt es entlang dieser Zonen erst zur Bildung von castellani (Sc/Ac-Wolkenfeldern mit Quellungen), und nicht zu gewittern, da sehr rasch Kaltluft einfließt und die Schichtung bodennah stabilisiert. Dann sinkt die Bodentemperatur, der Wind dreht, und mitunter folgt dann erst deutlich später das postfrontale Aufgleiten, wo dann oftmals Gewitter eingelagert sind. Ein ganz merkwürdiges Phänomen sind Sc/Ac-cas-Bildungen mit Gewittern, sogenannte Trockengewitter. In Deutschland sehr selten, aber bekannt.
- in manchen Fällen folgt hinter der Kaltfront eine weitere Frontlinie, Okklusion, Kaltluftstaffel, wie auch immer, die der davorliegenden Luftmasse die Möglichkeit gibt, sich zu erwärmen, oft einhergehend mit mehr auf südliche Richtungen drehenden Winden hinter der KF. Dann kann es zur Auslösung typischer Superzellenentwicklungen an der Boden-KF kommen. Wo diese Auftreten, ist in 850 hPa gut erkennbar, und zwar dort, wo die 850 hPa-Temperaturen gerade anfangen zu sinken.
Wie ich oben beschrieb, vermag die Sonne die Bodenschicht zwar zu erwärmen, aber nicht zu labilisieren, sie bleibt "gedeckelt", also die Temperatur steigt ab ca. 1500 m nochmal ein Stück an oder bleibt gleich. Wenn durch den KF-Durchgang die 850er nun leicht sinken, oft schon vor der Bodenfront, wird die starke potentielle Labilität (potentiell, weil eben durch den "Deckel" zurückgehalten) ausgelöst, und es entstehen mächtige Quellwolkenbildungen, die unter dem Einfluß der starken südwestlichen Höhenströmung sich durchaus zu Superzellen entwickeln können. Lokale Hagelstürme sind möglich.
- Anders passiert es, wenn die Kaltfront aus dynamischen Gründen nicht bodennah vorauseilen kann, z.B. im nördlichen Teil des Warmsektors, aber dennoch einem großen Temperaturkontrast unterliegt. Dann kann sich eine Linie heftiger Gewitter entwickeln, die von Regen und markanter Abkühlung (bis zu 20 Grad binnen kurzer Zeit) gefolgt wird. Solche Gewitterlinien werden fast immer von gefährlichen Orkanböen begleitet.
- In der Regel halten solche Wetterlagen nicht lange - ein Warmsektordurchgang dauert selten mehr als einen Tag, die Hitzewelle kann aber durch aufeinanderfolgende Wellenbildungen ein, zweimal wiederkehren oder sogar bis zu 3, selten 4 Tage am Stück anhalten, wobei die Zeitspanne immer nach Süden hin größer wird.
- Da es sich um gut entwickelte Warmsektoren handeln, können sich die zugehörigen Zyklonen zu Sommerstürmen und Orkanen entwickeln, die dann meist, aber nicht immer, weiter nördlich durchziehen, also über Skandinavien. Wenn sie doch mal über uns hinwegziehen, dann kann die um die Okklusion des sich entwickelnden Tiefs herumgeholte feuchtlabile Luft zu ausgesprochen ergiebigen Regenfällen führen, passiert auch in den Aufgleitzonen sich entwickelnder Wellenbildungen. 50 mm in 6 h sind möglich, aber meist räumlich eng begrenzt.

Im Grunde beinhalten diese Wetterlagen also ein ausgesprochen breites Spektrum sommerlicher Extremerscheinungen - Gewitter, Hagel, Starkregen, Hitze, Stürme, Wolkenphänomene, sind also durchaus spannend. Wenn auch bioklimatisch enorm belastend :-) Tornados im Rahmen von Superzellen solcher Wetterlagen sind in Deutschland sehr selten, falls sie entstehen, stehen sie jedoch denen der USA in nichts nach.

Wer mehr darüber, oder über die kommende Wetterlage erfahren möchte, schreibt eine Mail an mich (This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it.) - nicht einfach posten, weil ich nicht immer hiereinkomme.

Nur soviel:

Zur Lage aktuell !

Die kommende Wetterlage wird mindestens zwei, wenn nicht drei Wellenbildungen beinhalten.
Freitag durchzieht eine schwache, die Situationen "einleitende" WF-Okklusion das Land, woraufhin sich die erste Warmfront von Südwesten nähert, Freiburg wird Freitag spät erfasst, bis Samstag nachmittag erreicht sie die Ostsee. Dabei bildet sich rasch ein spitzer Warmsektor, und schon Samstag mittag erreicht die Kaltfront das Emsland/Münsterland. Bodenwirksam werden hier "nur"
12-15 Grad in 850, entsprechend maximal 32 Grad am Boden. An der Kaltfront kann es abends über dem Nordwesten Deutschlands zur teilweise dynamischen Gewitterauslösung kommen,
im gen Süden (nordw. Mittelgebirge) auch zur Bildung einzelner isolierter (Super-)Zellen mit Hagel.

Dann wandert die KF bis zur Mitte Deutschlands, es kühlt sich im Norden in der Nacht zu So ab, lokal treten Gewitter auf. Am Tag wandert die Front wieder sehr rasch nordwärts und erreicht So nachmittags zuletzt die Ostsee. An der Küste bleibt frontnah stärkere Quellbewölkung, und es können sich lokal kräftige Gewitter entwickeln. Sonst gibts überall Sonne mit "tropischem Himmel" und 30 bis 36 Grad. Der Abend bleibt ungewöhnlich lau.

In der Nacht zu Mo außer in Senken und Becken tropisch mild, 18 bis 23 Grad. Am Tag sehr schnell sehr warm, viele Castellani am Himmel, im Westen/NW nahe der voreilenden Kaltfront (siehe oben) bald stärker bewölkt durch Castellanus-Bewölkung, dort um 28, sonst 31 bis 37 Grad, Maximum in der Lausitz. Später im Nordwesten abkühlend, dichtere Bewölkung, bald Regen und Gewitter (keine Hagelstürme/Superzellen), sonst noch sehr warm !

Wie es danach weitergeht, bleibt erstmal spannend. Kann sein, daß die KF einfach schnöde nach Südosten abzieht, und es sich abkühlt, dann wieder Schauerwetter nachfolgt. Kann aber auch sein, daß sich nochmal eine Welle bildet, dann kann es entweder Sturm an der Küste, oder nochmal schwere Gewitter und Starkregen über Deutschland geben.

Euer Timm-Leachim, Reine

PS: übrigens gibt es solche Wetterlagen auch außerhalb des Sommers, mit entsprechend niedrigeren Werten, aber immer an der Obergrenze der jahreszeitlichen Möglichkeiten. Mangels Labilität sind aber schwere Gewitter und Starkregengebiete auf den Zeitraum ende Mai bis ende August begrenzt, alle anderen Erscheinungen können ganzjährig auftreten.


[/b]

Mein Fazit: Unheimlich lehrreich, teils sogar spannend, und nicht zu lang und umständlich geschrieben. Note 1+

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