Ein sehr lesenswerter Beitrag!
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21.02.06 06:48 UTC
Charles Darwin, die Geophysik und die Klimatologie:
Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Charles Darwin ist den
aller meisten Lesern sicher durch seine Evolutionstheorie
bekannt. Doch war er durchaus vielseitig interessiert und
gebildet und hat sich nicht nur mit der Biologie, sondern auch
mit anderen Wissensgebieten beschäftigt. So spielten auf seiner
Weltreise an Bord der "Beagle" auch die Geologie, die Geophysik
und die Meteorologie bzw. Klimatologie eine große Rolle.
Nachfolgend seien zwei diesbezügliche Beispiele genannt, eines
aus der Geophysik und eines aus der Klimatologie, weitere wären
möglich.
Nun, auch wenn es an manchen deutschen Schulen im
Geografieunterricht gelehrt wurde, bis zum zweiten
Weihnachtsfeiertag des Jahres 2004 wusste hierzulande kaum
jemand, was ein Tsunami ist und wie er entsteht. Nach dem
verheerenden Tsunami in Südostasien an jenem zweiten
Weihnachtstage des Jahres 2004 hat sich das Allgemeinwissen
darüber zwar verbessert, dass allerdings vor rund 170 Jahren
schon ein gewisser Charles Darwin ganz wesentlich zur Erklärung
dieses Phänomens beigetragen hat, zumindest was den
Kenntnisstand der Gelehrten in der westlichen Welt anbelangt
(im japanischen und im südostasiatischen Raum mag man unter
Umständen damals schon mehr über Tsunamis gewusst haben), ist
heute kaum bekannt. Darwin hatte das starke Erdbeben vom
20. Februar 1835 im chilenischen Valdivia erlebt und erreichte
ein paar Tage später Concepcion und Talcahuano. Beide dicht
beieinanderliegenden Städte waren vom Beben total zerstört. In
Concepcion standen nur noch wenige Grundmauern, in Talcahuano
praktisch gar nichts mehr, dort hatte nämlich eine große Welle
sämtliche Trümmer weggeschwemmt. Darwin, Kapitän Fitz Roy sowie
weitere Offiziere der "Beagle" untersuchten die Trümmer und
befragten Augenzeugen. Daraus resulterend kam Darwin mit einer
einfachen aber zugleich genialen Überlegung zu einer
grundlegenden Schlussfolgerung. Nach Auflistung aller ihm
bekannter neuerer sowie weiter zurückliegender "Great Waves",
wie er die Erscheinung nannte, stellte er fest, dass es die
Great Waves nach Erd- oder Seebeben nur dort gab, wo das Wasser
vor der Küste flach war. Selbst in Gebieten mit häufigen Beben
gab es keine bekannt gewordenen Great Waves, solange das Wasser
vor der Küste nur tief genug und die Küste steil genug war.
Daraus zog er den Schluss, dass bei einem Seebeben, der
Seeboden ruckartig angehoben wird, die dabei angehobene bzw.
verdrängte Wassermasse vom Bebenherd wegläuft und sich erst
beim Übergang ins flache Wasser aufsteilt. Dass dies alles in
Wellenform geschieht, schlussfolgerte er aus der Beobachtung,
dass sich das Wasser an der Küste nach dem Beben zuerst
zurückzieht, um dann um so stärker wieder aufzulaufen. Darwin
hatte damit die wesentlichen Zusammenhänge eines Tsunamis
richtig erklärt. Übrigens, cirka 125 Jahre nachdem Darwin das
starke Erdbeben von 1835 in Valdivia erlebt hatte, zerstörte
das weltweit stärkste bisher jemals gemessene Erdbeben (Stärke
9,5 auf der Richter-Skala) sowie der davon ausgelöste Tsunami
Valdivia sowie einige weitere chilenische Städte am 22.05.1960
so gut wie vollständig.
Und nun ein Beispiel, welches das Wirken Darwins im Bereich der
Klimatologie veranschaulicht. Bis vor wenigen Jahren galt es
unter den die Klimaerwärmung diskutierenden Klimatologen als
ausgemacht, dass die südamerikanischen Gletscher weder an
Masse, noch an Ausdehnung verlieren. In jüngerer Zeit wandelte
sich diese Meinung dahingehend, dass man sagt, auch diese
Gletscher seien kleiner geworden. Die Datengrundlage für diese
Meinungswandlung sei einmal dahingestellt. Ein Blick in Charles
Darwins "The Voyage of the Beagle" würde allerdings reichen, um
festzustellen, dass eine möglicherweise anthropogen verursachte
Klimaerwärmung nicht durch ein Abschmelzen der südamerikanischen
Gletscher bestätigt werden kann. Denn liest man Darwins
Reisebeschreibung durch Südamerika mit Hinblick auf die
Schneefallereignisse, die Schneegrenze, die Anzahl und
Ausdehnung der Gletscher oder der Eisberge wie er sie dort
erlebt hat, könnte man meinen, er hätte diese Reise irgendwann
in den vergangenen zehn Jahren unternommen. Er tat es aber in
den Jahren 1834/35. Und Darwin liefert bzgl. Schnee und Eis
viele Hinweise. Er erwähnt beispielsweise, dass der höchste
Berg Südamerikas, der Aconcagua, in manchen Sommern durchaus
völlig schneefrei ist, dass der etwas südlich davon gelegene
Andenpass bei Uspallata bzw. Puente del Inca im Sommer und
Herbst frei von Schnee ist oder dass es an der Andenüberquerung
Puertezuelo de los Piuquenes bzw. Portezuelo Argentino
(südöstlich von Santiago de Chile) im Herbst in Passhöhe
einzelne Flecken mit mehrjährigem Schnee gibt und von dort in
Richtung Norden bei Fernsicht am Horizont der schneebedeckte
Tupungato mit einem blauen Gletscher zu sehen ist. Zwischen
etwa 41° und 43° südlicher Breite nennt Darwin 1800 Meter als
typische Schneegrenze, das entspricht praktisch der heutigen
Schneegrenze am Osorno, dem Monte Tronador, dem Corcovado sowie
den anderen dort befindlichen Vulkanen und Bergen, aber auch
der Casablanca sowie der Cerro Puntiagado, welche sogar ein
paar Kilometer dichter am Äquator liegen, weisen heute eine
Schneegrenze in dieser Höhe auf. Darwin erwähnt die vielen vom
Gletscher San Rafael stammenden Eisberge in der Laguna San
Rafael, einem Gletschersee, der nur sehr indirekt mit dem
Pazifik verbunden ist. Nur wenig südlich davon sah Darwin
damals den nördlichsten Gletscher Südamerikas, der direkt bis
hinab zur Pazifikküste reicht, und zwar auf einer geografischen
Breite von 46° 50´ Süd. Auch heute erreicht dort der Gletscher
San Quintin die Pazifikbucht Bahia San Quintin. Und auch
Darwins Beschreibung der Schnee- und Gletscherwelt Feuerlands
weist keine größeren erkennbaren Abweichungen von der heutigen
Schnee- und Eissituation an der Südspitze Südamerikas auf. Mit
anderen Worten, wir haben heute in Südamerika ähnliche Schnee-
und Eisverhältnisse wie in den 1830iger Jahren, bei genauer
Betrachtung könnte man sogar vermuten, dass Schnee und Eis seit
damals geringfügig zugenommen haben. Das soll nicht heißen,
dass es seit 1835 zwischenzeitlich keine nennenswerte Zu- oder
Abnahme der Schnee- und Eismassen gegeben hat, doch deutet
nichts darauf hin, dass dabei der Rahmen der natürlichen
Klimaschwankungen überschritten wurde.
Diesen Monat wäre Darwin 197 Jahre geworden. Vielleicht
erscheint bis zu seinem 200. Geburtstag ja die eine oder andere
Neuauflage seiner Werke. Lesenswert sind sie allemal.
Dipl.-Met. Thomas Schmidt
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Gruß aus Bonn
Constantin