Später weg und früher wieder da
VOGELZUG Viele Vögel haben Ziel und Zeitplan geändert. Schuld ist der Klimawandel. Einige Arten haben mit den veränderten Bedingungen Schwierigkeiten.
OLIVER KLAFFKE (AZ 1.11.07)
Seit mehr als 25 Jahren notiert der Förster und Ornithologe Walter Christen, wann er im Frühjahr wieder heimgekehrte Zugvögel zum ersten Mal sieht, wie etwa Feldlerche, Waldlaubsänger oder Gartengrasmücke. «Eine Reihe von Singvögeln kommen jetzt früher zurück, als das noch in den Achtzigerjahren der Fall gewesen ist», sagt Christen, der eine Analyse seiner Beobachtungen im Fachblatt «Der Ornithologische Beobachter» veröffentlicht hat. Heute ist die Rauchschwalbe acht und der Teichrohrsänger fünf Tage früher wieder da. Die Mönchsgrasmücke, die zu Beginn der Beobachtungen um den 21. März erschien, beobachten Ornithologen heute um den elften März zum ersten Mal. Bei fünf der zwölf Vogelarten, für die Christen über ausreichendes Material zur Analyse verfügt, konnte er eine Terminveränderung finden, bei den anderen zeichnet sich diese Tendenz ab. Aus dem Schweizer Mittelland liegen damit erstmals Daten vor, die Ergebnisse aus anderen Regionen Europas bestätigen. Im Herbst, so ergab eine Untersuchung der Vogelwarte Sempach, ziehen einige Arten später weg als früher. Sie nutzen die so gewonnene Zeit für mehrere Bruten.
EXPERTEN FüHREN DIESE Veränderungen auf den Klimawandel zurück. Die in den letzten Jahren erhöhten Frühjahrstemperaturen scheinen einen Einfluss zu haben. «Je wärmer es ist, desto früher kommen die Vögel zurück», sagt Christen. Die Nordatlantische Oszillation, der Wechsel zwischen den Druckverhältnissen des Islandtiefs und des Azorenhochs, spielt dabei eine wichtige Rolle. Bei Tiefdrucklagen mit höheren Temperaturen und Winden aus Südwesten kehren die Vögel früher heim.
VIELE VOGELARTEN HABEN nicht nur den Zeitplan ihrer Reise geändert, sondern auch ihre Ziele. «Sie fliegen weniger weit», sagt Sergei Dereliev, Biologe beim UNO-Umweltsekretariat «Afrikanische und Eurasische Wasservögel» in Bonn. Rothalsgänse, die noch vor wenigen Jahren an der Schwarzmeerküste überwinterten, beenden ihre Reise heute schon einige hundert Kilometer weiter nördlich. «Wenn es keinen Schnee gibt, finden sie dort genügend Nahrung und sie müssen die Gefahren eines Weiterflugs nicht auf sich nehmen», sagt er. Ob der Rückgang der Art von einer Weltpopulation von 90 000 Tieren um fast zwei Drittel auf etwas mehr als 30 000 während der letzten Jahre auf den Klimawandel und die mit ihm verbundenen Veränderungen des Zugverhaltens zurückzuführen ist, ist allerdings unklar. Auch andere Arten haben ihr Winterquartier in mehr nördliche Regionen verlegt, weil die Winter weniger streng sind. «Das ist im Moment ein häufiger Trend», sagt Dereliev. Der Kranich etwa überwinterte noch zu Beginn der Neunzigerjahre hauptsächlich in Spanien. Mittlerweile verbringt ein grosser Teil der Population, die in Nordeuropa brütet, die kalte Jahreszeit an Seen in der Champagne in Frankreich. Stare benutzen die gleiche Strategie. Wird es plötzlich kalt, entschliessen sie sich dann spontan zum Weiterflug gen Süden.
Das veränderte Klima sorgt für eine genetische Veränderung ganzer Vogelpopulationen, denn der Zugtrieb steckt in den Erbanlagen. «Wenn die Winter milder werden, überleben die Vögel, die entweder nur eine kurze Distanz ziehen oder ganz zu Hause bleiben besser, als jene, die das Risiko der Wanderung auf sich nehmen», sagt Dereliev. Als Mönchsgrasmücken in den Achtzigerjahren plötzlich begannen in grosser Zahl im Süden von England zu überwintern, glaubten Biologen, dass es sich dabei um Vögel handelt, die vor dem schlechten Wetter aus Holland und Norddeutschland auf die Insel ausweichen. Doch wie Peter Berthold von der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Radolfzell herausfinden konnte, waren es englische Vögel mit einem geringeren angeborenen Zugtrieb, die zu Hause blieben. Ihre Zahl nahm durch die Natürliche Selektion zu, weil sie besser überlebten als ihre wandernden Artgenossen.
«Der Klimawandel hat für einige Zugvogelarten Konsequenzen, um die wir uns ernstlich Sorgen machen müssen», sagt Ueli Rehsteiner, Biologe beim Schweizer Vogelschutz Birdlife in Zürich. Fast 90 Prozent der ziehenden Wasser- und Strandvögel sind durch die Auswirkungen des Klimawandels bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das der British Trust for Ornithology im Auftrag der UNO-Konvention zum Schutz wandernde Tierarten erarbeitet hat. «Das Problem ist, dass viele Arten Schwierigkeiten haben, Rückkehr und den Beginn der Brutzeit mit dem optimalen Nahrungsangebot für ihre Jungen zu koordinieren», sagt er. Vor allem die Bestände von einigen Langstreckenziehern wie etwa dem Trauerschnäpper, der südlich der Sahara überwintert, sind wahrscheinlich deshalb stark zurückgegangen.
DIE TIERE SIND DARAUF angewiesen, dann zu brüten, wenn die meisten Raupen im Wald geschlüpft sind. Weil aber mit den höheren Frühjahrstemperaturen die Wälder früher grün werden, haben auch die Raupen ihren Zyklus um fast drei Wochen nach vorne verlegt. Darauf können sich die Trauerschnäpper nicht einstellen. Sie brüten zwar mittlerweile auch früher, wie Christian Booth und Marcel Visser vom Niederländischen Institut für Ökologie der Königlichen Akademie in Heteren in einem Forschungsprogramm festgestellt haben. Doch das reicht nicht aus, um mit den Raupen Schritt zu halten, denn die Vögel schaffen es einfach nicht so schnell aus Afrika zurück nach Mitteleuropa, um rechtzeitig mit dem Brutgeschäft zu beginnen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Die Jungen verhungern in den Nistkästen.
«Der Klimawandel gefährdet viele Vogelarten aber auch auf dem Zugweg selber», sagt Birdlife-Mann Rehsteiner. Wenn etwa die grossen Sumpfgebiete in Nordafrika austrocknen, in denen viele Zugvögel Station machen, ist ihr Überleben in Gefahr. «Sie brauchen diese Rastplätze, um Nahrung zu suchen und sich auszuruhen.»
Vom Aussterben bedroht mangels Anpassungsfähigkeit? Nachdenklich Shrek...