KLIMAGESCHICHTE Aufzeichnungen über die Eisbedeckung von Seen in der Schweiz liefern wertvolle Informationen zu vergangenen Klimatrends.
LUKAS DENZLER (AZ)
Wer die Frage zu beantworten hat, ob und vor allem wie rasch sich das Klima ändert, benötigt Daten. Exakte Messungen der wichtigsten Klimagrössen wie Temperatur und Niederschlag über lange Zeiträume sind deshalb von unschätzbarem Wert. Die Schweiz verfügt über zahlreiche wertvolle Klimamessreihen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.
Das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz) hat zusammen mit der Akademie der Naturwissenschaften nun erstmals eine Übersicht über die wichtigsten Klimareihen der Schweiz erstellt. Unmittelbarer Anlass für den Bericht über das nationale Klimabeobachtungssystem sei die finanziell nicht gesicherte Weiterführung von zwei wichtigen internationalen Datenzentren gewesen, sagt Gabriela Seiz von der Koordinationsstelle zur Klimabeobachtung bei der Meteo Schweiz.
Bei diesen beiden Zentren, die weltweit Daten sammeln und archivieren, handelt es sich einerseits um ein Archiv an der ETH Zürich mit globalen Daten zur Sonneneinstrahlung auf der Erdoberfläche und andererseits um den World Glacier Monitoring Service an der Universität Zürich mit internationalen Daten zu Gletscherbeobachtungen. Laut Seiz ist die Fortführung der Zentren in beiden Fällen infolge der Pensionierung leitender Personen infrage gestellt.
WIE DER BERICHT zeigt, ist die Vielfalt und Qualität der Schweizer Klimareihen beeindruckend. Diese reichen von Messungen der Temperatur über Beobachtungen der Vegetationsentwicklung bis hin zu Untersuchungen des Permafrostes im Hochgebirge. «Besonders wertvoll sind die Ozonmessungen in der Schweiz», sagt Seiz. So wird in Arosa das Gesamtozon der Atmosphäre seit 1926 gemessen; es handelt sich somit um die längste Messreihe der Welt. Und in Payerne wird seit 1968 mittels aufsteigender Ballonsonden das Ozonprofil erhoben.
International bedeutsam sind auch die historischen Aufzeichnungen über die Eisbedeckung des St. Moritzer Sees. Diese längste Datenreihe dieser Art der Schweiz beginnt 1832 und reicht ohne Unterbrechung bis in die Gegenwart. Aufzeichnungen der Gefrier- und Auftaudaten von Seen liefern wertvolle Rückschlüsse über das regionale Klima und Hinweise zum winterlichen Temperaturverlauf. Seen speichern im Sommer viel Wärme und kühlen sich im Herbst allmählich ab. Je kälter und länger der Winter ist, desto früher frieren Seen zu, und sie tauen auch später auf. Der mit Abstand wichtigste Faktor dafür ist die Lufttemperatur. Forscher des Eidgenössischen Wasserforschungsinstituts (Eawag) konnten anhand historischer Aufzeichnungen aus den USA, Kanada, Finnland, der Schweiz, Russland und Japan zeigen, dass die Gewässer der nördlichen Hemisphäre heute tatsächlich später gefrieren und auch rascher wieder auftauen als früher.
Bisher kaum beachtet wurde die Eisbedeckung der Schweizer Mittellandseen. Harrie-Jan Hendricks-Franssen vom Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich hat nun erstmals für 11 Mittellandseen die Eisbedeckung zwischen 1901 und 2006 statistisch ausgewertet. Ein See gilt dabei als zugefroren, wenn während mindestens eines Tages die ganze Seefläche mit einer Eisdecke bedeckt war (das Eis muss also nicht tragfähig sein). Die Daten trugen die Forscher aus Aufzeichnungen von Fischern, Bootsbauern der Seepolizei sowie aus Zeitungsberichten zusammen.
«BEI DEN SEEN, die selten gefrieren, hat die Eisbedeckung in den letzten 40 Jahren deutlich abgenommen», sagt Hendricks-Franssen. «Die Beobachtungen stimmen sehr gut mit dem Anstieg der gemessenen Temperaturen in dieser Periode überein.» Einige Beispiele: Der Sempachersee fror zwischen 1901 und 1950 elfmal zu, seit 1965 hingegen kein einziges Mal mehr. Ebenso kam es beim Hallwilersee seit 1986 nicht mehr zu einer kompletten Eisbedeckung, während dies in früheren Jahren reglmässig geschah. Und auch der Bieler-, Baldegger-, Sarnen-, Obere Zürich- und Untersee des Bodensees verzeichneten in den vergangenen 40 Jahren lange eisfreie Perioden.
Weniger ausgeprägt seien die Unterscheide hingegen beim Greifen-, Pfäffiker- und Ägerisee, da es bei diesen Seen recht häufig zu einer Eisbedeckung komme, erläutert Hendricks-Franssen. «Der Greifensee ist früher mehrmals bereits im Dezember zugefroren, was in den letzten Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist». Grosse Seen wie der Genfer-, Boden-, Vierwaldstätter- und Neuenburgersee, aber auch der Brienzer-, Thuner- und Walensee wurden in der Analyse nicht berücksichtigt. Der Grund: Diese Seen gefrieren so selten, dass eine statistische Auswertung nicht möglich ist. Mit Ausnah-me der «Seegfrörni» des Bodensees 1962/63 sind diese Seen im 20. Jahrhundert nie zugefroren.