Seltenes Phänomen an Obstbäumen
Wer sich bei den momentan eher kühlen Temperaturen auf den Weg nach draussen macht und seinen Blick auf die Bäume richtet, wird Erstaunliches feststellen: An den Bäumen hängen Blätter, wo man eigentlich das nackte Gehölz erwarten würde. Nicht die grünen Blätter, auf die viele Frühlingsanbeter sehnsüchtig warten, sondern braune, tot am Baum hängende.
Für erstaunte Spaziergängerinnen und Spaziergänger hat Alfred Husistein von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau Agroscope Changins-Wädenswil eine Antwort. Die Ursache liegt im vergangenen Herbst, welcher uns mit angenehm hohen Tagestemperaturen und lauen Nachttemperaturen für den verregneten Sommer entschädigt hat. Den schönen Herbst haben nicht nur wir, sondern auch die Pflanzen genossen. Die Flora hat sich wegen dieser hohen Temperaturen spät auf den Winter vorbereitet.
Trennschicht bilden
Die Vorbereitung auf die kalte Jahreszeit besteht nämlich darin, dass Pflanzen, die Laub abwerfen, im Herbst eine Trennschicht bei der Anwachsstelle des Blattes bilden, damit sie ihre alten Blätter loswerden. Bäume wie die Kirsche und Zwetschge, die ihre Früchte bereits im Sommer tragen, beginnen früh mit der Bildung der Trennschicht. Bei Bäumen, bei denen die Ernte erst im Herbst fällig ist, beginnt die Bildung dieser Trennschicht dementsprechend später: etwa bei den Apfel-, Quitten-, Birn- und Kastanienbäumen. Da die Bildung der Trennschicht also abhängig vom Temperatur- und Witterungsverlauf ist, führte der warme Herbst 2005 dazu, dass die Trennschichtbildung spät einsetzte.
Markanter Kälteeinbruch
Doch am 20. November war es vorbei mit der Wärme, uns erreichte ein markanter Kälteeinbruch. Zu früh für jene Bäume, welche die Trennschicht nicht fertig gebildet hatten, wie Husistein schreibt. «Die Blätter erfroren und konnten sich nicht mehr von der Anwachsstelle lösen.»
Bleibt die Frage, ob die Obstbäume unter dem ungewöhnlichen Schmuck leiden. Husistein verneint. Die Blätter fallen mit der Schneelast und dem Wind ab oder werden beim Neuaustrieb abgestossen. Da die erfrorenen Blätter nur wenig oder kein Wasser verdunsten, beeinträchtigt dies die Pflanzen nicht. Zeigen sich im Frühling Erfrierungen, sind diese auf den Kälteeinbruch im November zurückzuführen. Das sei aber bei den meisten Pflanzen nicht zu erwarten. Das Phänomen ist eine Laune der Natur und tritt in unseren Breiten alle fünf bis zehn Jahre auf. Am meisten dort, wo der Föhn häufig durchs Tal zieht, wie im Rheintal. Bruno Knellwolf
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