Es ist zwar ein wenig schwierig, ältere Erinnerungen mit jüngeren abzuwägen, aber dennoch meine ich korrekt sagen zu können, daß das heftigste Unwetter, welches ich bislang erlebt habe, in der jüngeren Vergangenheit stattfand, und zwar am 23. Juli 2004.
Nach einer schwül-heißen Woche mit häufigen, teils auch heftigen Gewittern in Mitteleuropa, welche Offenbach bis dato aber nur streiften oder ganz mieden (immerhin einmal mit interessantem Wetterleuchten nachts), sollten eigentlich schon in der Nacht zum 23. Juli teils heftige Gewitter über Hessen ziehen, für den Tag selbst wurde nochmal am Mittag mit einem Aufleben der Gewitteraktivität gerechnet, anschließend Abkühlung und nachhaltige Wetterberuhigung. Es war also wieder einmal der Abschluß einer Gewitterperiode und damit die vorerst letzte Chance, ein Gewitter zu erleben. Glücklicherweise hatte es schon am 08. Juli ein kräftiges Morgengewitter mit 27 mm innerhalb einer halben Stunde und ordentlichen Naheinschlägen gegeben. Der erste große Hunger nach den an Gewittern überaus mageren Jahren 2001, 02 und 03 war damit schon ein wenig gestillt. Aber welcher Gewitterbegeisterte gibt sich mit einem Einzel-Ereignis zufrieden, wenn es gar nicht weit weg fast täglich knallt? Zudem nach drei Frustjahren?
So war die Spannung am Abend des 22. nach 31.3°C Höchsttemperatur und deutlicher Schwüle recht groß und statt Schlafengehen trieb mich eine gewisse Unruhe immer wieder ans Fenster, um den West- und Südwesthorizont nach verdächtigen Entwicklungen abzusuchen. Leider tat sich, von ein wenig Cirrus und Cirrocumulus abgesehen, überhaupt nichts. Es würde doch nicht wieder am Vormittag durchziehen wollen, einer Tageszeit, in welcher Gewitter in der Regel am schwächsten sind und sich erfahrungsgemäß über uns neu bilden, um östlich zu einer Linie zu werden? Zudem würde ich bis zum Abend nicht zu Hause sein, sondern einem Freund beim Umzug von Griesheim bei Darmstadt zurück nach Offenbach helfen (knapp 40 km südwestlich von hier). Es wäre also der ungünstigste Tag für ein Gewitter in der ganzen Woche...
Nach einer unruhigen Nacht im heißen Dachgeschoß stand ich recht zeitig auf und rüstete mich für den Umzug. Ein Blick aus dem Fenster bestärkte mich in meiner Befürchtung, die Sache könne zur falschen Zeit losgehen. Diverse Cirrusarten, Altocumuli, Cumuli und eventuell entfernte Cbs tummelten sich bei völliger Windstille am Himmel - der typische chaotische Gewitterhimmel. Die Temperatur war nach einem Minimum von 18,5°C bereits bis 9 Uhr auf 22°C gestiegen. Etwas mißgelaunt machte ich mich zum Umzug auf.
In Richtung Griesheim wurde der Himmel immer lichter, die Strukturen unverdächtiger. Bei großer Schwüle war die Kleidung bereits nach dem Schleppen weniger Kisten und Möbelteile durchnäßt. Glücklicherweise lag die Wohnung nur im ersten Stock. Als der Kleintransporter voll war, ging es zum ersten Mal zurück nach Offenbach, wo das Himmelbild zwar noch etwas diesig war, jedoch nicht mehr verdächtig. Harmlose Cumuli, letzte Altocumuli, ein wenig Wind. Gewitter würde es vorerst keine geben. Dennoch machte einem die drückende Schwüle ordentlich zu schaffen, zumal es nun vier Altbaustockwerke mit engem Treppenhaus ohne Aufzug zu überwinden galt. Das Bett bekamen wir fast nicht hindurch. Die Kleidung klebte, aber irgendwie fiel das kaum noch auf.
Am frühen Nachmittag ging es zur hoffentlich letzten Fuhre zurück nach Griesheim. Ab etwa 16 Uhr schlug mein Herz höher: im Süden, später auch im Südwesten, bildeten sich in raschem Tempo dicke Quellwolken. Es waren klassische Hitzegewitter, welche nach einigen geraden, unverzweigten Blitzen und einem kleinen Gebiet dichter Fallstreifen wieder zusammenfielen, während sich etwas versetzt neue bildeten. Eines schaffte es auf ca. 3 km heran, lieferte nettes Grollen und ein paar dicke Tropfen.
Nach 18 Uhr schien es mit den Einzelzellen vorbei zu sein, im Westen wurde es in breiterer Linie dunkler, es blitzte häufiger. Nun die schwere Entscheidung: die restlichen Kisten waren verstaut, die Fahrt nach Offenbach konnte losgehen. Jetzt, wo sich eine Gewitterlinie zu bilden schien. Zu Hause würde garantiert nichts sein, und da sollte ich jetzt hin? Nichts zu machen, ich wollte die anderen nicht im Stich lassen. Ich sagte noch scherzend, daß einem gemütlichen Ausladen nichts im Wege stehe, denn Offenbach werde von Gewittern sowieso meist gemieden...
Nicht in Griesheim zu bleiben, stellte sich als die absolut richtige Entscheidung dar. Denn jetzt ging die Fahrt in das eindrucksvollste Gewittererlebnis meines Lebens. Schon auf dem Rückweg kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bei Langen (ca. 15 km südsüdwestlich von Offenbach) thronte augenscheinlich eine Superzelle mit einer westlich scharf abgegrenzten Fallstreifenfläche. Wie mit dem Lineal gezogen war die Grenze. Auf der Autobahn (A 661) Richtung Norden bot sich eine weitere höchst interessante Erscheinung. Durch die diesige, seitlich vom Sonnenlicht angestrahlte Luft konnte man eine Art gelblichen Nebel ausmachen, welcher im Bereich Frankfurt/Offenbach zusammengesaugt zu werden schien. Besondere Wolkenstrukturen waren nicht zu erkennen, zu diffus war die ganze Suppe. So etwas hatte ich noch nie gesehen!
Gegen 19:30 Uhr kamen wir im Elternhaus des Freundes auf einer leichten Anhöhe im Südwesten Offenbachs an. Der Himmel verdunkelte sich zusehends, die Wolken schienen sich aus allen Himmelsrichtungen ineinander zu bewegen, wie kleine Strudel eines schnellen Flusses wurden Aufwindbereiche sichtbar. In der Ferne hörte man es Grummeln. Ein Zentrum war nicht auszumachen. (Daß die Wolken sich tatsächlich ineineander bewegten, ja, daß über dem Süden Frankfurts und Offenbachs drei Gewitter miteinander verschmolzen, zeigt der Bericht vom Wetterfuchs aus der WZ - siehe Link).
Rasch suchte ich mir einen hervorragenden Beobachtungsposten im ersten Stock des Hauses, von wo aus ich von OSO, SO, S, SW bis WSW alles überblicken konnte. Gegen kurz vor 20 Uhr begann das Spektakel. Von Süden her näherten sich teils äußerst dicke Linienblitze. Manche kaum, manche stärker verästelt. Da es noch nicht regnete, konnte man das helle, scharfe krachen der Donner wunderbar genießen. Die Blitzrate legte deutlich zu, zunehmend gingen mehrere Entladungen gleichzeitig nieder. Etwa zwanzig Minuten lang gab es bei völliger Trockenheit ein grandioses Blitzfeuerwerk mit unzähligen Naheinschlägen und atemberaubenden Krachern.
Dann rauschte binnen kürzester Zeit aus südöstlicher Richtung eine dunkelgraue, von schneeweißen Streifen durchsetzte Niederschlagswand heran. Wie dichter Nebel verhüllte sie die tieferliegenden Stadtteile, bis kaum noch die gegenüberliegenden Häuser zu sehen waren. Das Blitzfeuerwerk mit Naheinschlägen ging dabei munter weiter. Gegen 21 Uhr setzte sich das Schwergewitter dann zügig ostwärts in Bewegung. Noch lange war es als schwarze, blitzende Wand zu sehen.
Während es an meinem Beobachtungsstandort nur Starkregen, aber keinen Hagel gab, fiel zu Hause im NO der Stadt nach Aussagen meines Vaters in den ersten zehn Minuten nur Hagel (von Kirsch- bis vereinzelter Walnußgröße), so daß einige Pflanzen durchlöchert und die Rolläden leicht eingedellt wurden. Zudem verstopfte der Hagel den Abfluß unterhalb der Kellertreppe, so daß wir einen leichten Wasserschaden hatten. In der Umgebung stand jede leichte Senke knietief unter Wasser, in der Innenstadt gar hüfthoch. Von offizieller Stelle wurden 54 mm gemessen. Da ich damals leider noch keinen Hellmann besaß, sondern den üblichen Baumarktregenmesser, welcher mit Hagel vollgestopft war, konnte ich keine eigenen aussagekräftigen Werte ablesen. Die Höchsttemperatur betrug übrigens 31,6°C. Damit war es wärmer, als vorhergesagt.
Während ich im SW der Stadt direkt unter der Verschmelzungszone lag, wodurch kein klassischer Gewitteraufzug zu beobachten war, ergab sich im NO ein anderes Bild. Meine Mutter berichtete, es sei im S und SW immer bedrohlicher geworden, habe immer wilder und näher geblitzt, dann habe sich der Himmel zunehmend dreckig gelb-braun bis grün gefärbt und nach wenigen Naheinschlägen habe bereits Hagel eingesetzt.
Viele Grüße
Christian
Link:
Analyse vom Wetterfuchs