Unwetter
Manche Warnung erweist sich als voreilig - Wetterdienst fürchtet, erneut von Kachelmann vorgeführt zu werden
Die Unruhe vor dem Sturm
Gestern wurde der Alarm nach dreieinhalb Stunden wieder abgeblasen. Und doch: Im Januar und Februar drohen mehr Orkane als sonst. Der Klimawandel . . .
Hamburg
Die amtliche Unwetterwarnung morgens zum Frühstück im Radio ist mittags schon Schnee von gestern. Also kein Unwetter. Keine umstürzenden Bäume, kein Orkan, keine abgedeckten Dächer.
Auch gestern wieder hat eine Warnung der Staatsmeteorologen vom Deutschen Wetterdienst (DWD) viele Radiohörer verwundert. Nach dreieinhalb Stunden wurde sie abgeblasen. Nur auf Sylt wurde in der zehnten Stunde des neuen Jahres erreicht, was ein amtliches Unwetter braucht: eine "orkanartige Böe" mit einer Windgeschwindigkeit von 105 Stundenkilometern. Mit der Folge: Das Neujahrsbaden in Wenningstedt in der Nordsee fiel ins Wasser; statt dessen gab's (nur für die gestrandeten Bader) einen Glühwein im Strandbistro. Sonst traten (im "Vorhersageraum") keine "orkanartigen Böen" auf, bestätigte der Deutsche Wetterdienst.
Hat die Zahl der Unwetterwarnungen zugenommen? Werden häufiger Unwetter vorhergesagt, die dann gar nicht stattfinden?
Ja, sagt Diplom-Meteorologe Hans-Arnold Pols (55) vom Deutschen Wetterdienst. "Es werden Warnungen häufiger herausgegeben." Und wer ist schuld? Ein Schweizer. Das will natürlich keiner vom DWD - einer "Anstalt des öffentlichen Rechts" - laut sagen. Gemeint ist aber immer Jörg Kachelmann, der dem DWD 2002 vorwarf, die Elbeflut verschlafen zu haben.
Seitdem der Schweizer Astronom, Meteorologe, Weltraumforscher, Moderator und Journalist Kachelmann mit seiner "Unwetterzentrale" die Wetterprognosen aufmischt, herrschen andere Zeiten.
Zwar gilt nach wie vor: Erst ab einer vorhersehbaren Windstärke 11 wird der amtliche Wetteralarm gegeben. "Doch andere Kriterien haben sich verschoben", sagt Meteorologe Pols. Auch bei einzelnen, regional begrenzten Gefahren werde die Warnung herausgegeben. "Früher musste ein Unwetter verbreitet auftreten," so der DWD-Meteorologe. "Wir waren zurückhaltender." Heute, so ist aus der DWD-Zentrale auf St. Pauli zu hören, werde häufiger darauf geachtet, wenn es kritisch wird. Ziel sei es, "zeitnah" zu handeln. Die Damen und Herren von der Bernhard-Nocht-Straße wollen also schneller am Drücker sein . . .
Zurück zur Radio-Warnung beim Frühstück - auch hier hat sich etwas geändert: Man muss genauer hinhören. Die amtlichen Warnungen erfolgen nämlich "mit einem Zeitrahmen". Das hieß für den gestrigen Neujahrstag: "Die Unwetterwarnung war auf fünf Stunden angesetzt. Und anderthalb Stunden vor Ende haben wir sie aufgehoben", sagt Hans-Arnold Puls. Weil sich die Prognose nicht bewahrheitete.
Doch dies ist die nächste DWD-Prognose von Pols: "Nach einer wirklich nur ganz kurzzeitigen Wetterberuhigung wird am Mittwoch und Donnerstag das nächste Sturmtief vom Atlantik dafür sorgen, dass die erste Januarwoche stürmisch bleibt." Vereinzelte Sturmböen könnten "vielleicht" auftreten.
Nicht nur vielleicht, sondern ganz sicher ist Peter Höppe, dass nicht nur im Januar, sondern auch im Februar nicht nur Europa, sondern auch Deutschland schwere Stürme bevorstehen. Höppe ist Leiter des Fachbereichs Georisikoforschung der Münchener Rück, des zweitgrößten Rückversicherers der Welt. Der Fachmann sieht die Ursachen für die bevorstehenden Stürme in dem extrem warmen Herbst und den außergewöhnlich hohen Wassertemperaturen im Nordatlantik. Die hohen Temperaturen im Herbst verhinderten die Ausbildung eines Kältehochs über Osteuropa. Dieses Hoch sei aber nötig, um atlantische Winterstürme vom Zug nach Europa abzuhalten.
Die wissenschaftliche Beweislage werde immer klarer: Der Anstieg der Nordatlantiktemperatur enthalte eine von Menschen gemachte Komponente, sagte Höppe. Dass der Herbst 2006 der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, sei ein weiterer Mosaikstein im Gesamtbild" des Klimawandels. "Was wir sehen, ist eigentlich genau das, was uns die Klimamodelle prognostizieren. Alle Prognosen sagen, dass wir in Zukunft höhere Variabilität bekommen. Es wird also immer wieder Ausreißer geben, auch hin zu manchmal kalten Wintern. Langfristig werden die warmen schneelosen Winter aber eher zum Regelfall."
Zugleich müssten sich die Menschen auf heißere Sommer einstellen, so Höppe. 2006 sei das sechstwärmste Jahr seit Beginn der Messungen gewesen, auf der Nordhalbkugel sogar das viertwärmste. "Und die zehn wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen liegen alle zwischen 1995 und 2006." Dem Münchner Klimaforscher zufolge war das Hitzejahr 2003 mit seinen Zehntausenden Hitzetoten in Europa nach historischen Klimadaten ein 450-Jahres-Ereignis. Aber: "Hitzesommer mit mehr als 35 Grad werden bis 2050 wohl alle zwei bis drei Jahre auftreten."
Höppe betonte zugleich, dass der Trend zu mehr und teureren Katastrophen anhalte. 1950 seien noch statistisch zwei große Katastrophen pro Jahr zu erwarten gewesen, heute seien es mit sieben bereits mehr als dreimal so viel. Dabei spiele allerdings auch eine Rolle, dass immer mehr Menschen in Risikogebieten wie Küstenregionen lebten.
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