Aus dem Tagblatt vom 29.11.2005
Wie eine Eiskunstläuferin
Erdrotation (1): Fallende Blätter beschleunigen die Erde
Schwer glaublich, aber wahr: Dass sich die Erde im Winter schneller dreht, hat mit dem fallenden Laub zu tun.
Man kennt es von der Eiskunstläuferin, die eine Pirouette vollführt: Bei ausgestreckten Armen kreiselt die Eiskunstläuferin langsamer, als wenn sie ihre Arme zusammenzieht. Je näher die Masse um ihr Zentrum verteilt ist, desto schneller dreht sie sich.
Das Gesetz des Drehimpulses
Der Erde geht es ähnlich. Sie dreht sich einmal im Tag um ihre eigene Achse, und zwar im Winter ein klein wenig schneller als im Sommer. Die Frage stellt sich, wie sich dies erklären lässt. Eine Antwort lautet: wie bei der Eiskunstläuferin, mit dem Gesetz des Drehimpulses nämlich, der erhalten bleiben muss. Dieser Drehimpuls ist definiert als Produkt aus Trägheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit, wobei sich ersteres aus Masse und Radius des Untersuchungsgegenstandes zusammensetzt. Die Rotationsgeschwindigkeit der Erde ist umgekehrt proportional zum Abstand der Massenverteilung vom Erdmittelpunkt aus.
Kompliziert? Beschreiben wir die Sache konkret: Jeden Herbst verlieren die Laub- und gewisse Nadelbäume ihr Grün. Das sind pro Baum immerhin einige Kilogramm Masse, die ein paar Meter näher zum Mittelpunkt der Erde transportiert werden.
Vom Süden nicht kompensiert
Addiert man dies über alle Bäume auf und berücksichtigt auch, dass Früchte im Herbst zu Boden fallen oder abgeerntet werden und Bäume während der kalten Jahreszeit weniger Flüssigkeit speichern, so erhält man riesige Transfers so genannter Biomasse in Richtung Erde. Dadurch wird die Eigenrotation der Erde jeweils im Herbst (der Nordhalbkugel) beschleunigt. Erst mit dem Spriessen neuer Blätter im Frühling verlangsamt sie sich wieder. Die südliche Hemisphäre, wo derweil Sommer ist, vermag diese Verschiebung nicht auszugleichen. Denn der grösste Anteil der Kontinentalfläche und insbesondere der Laubwälder befindet sich auf der Nordhalbkugel.
So sensibel reagiert unser Planet auf kleinste Veränderungen.
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